Der Wolf im Knusperhäuschen
[hier die Steinerei-2017 Live-Version]
Inhalt
Ein zauberhaftes Märchen im Lego-Format in die Neuzeit übertragen. Begleitet Rotkäppchen auf den Weg zu ihrer Großmutter. So habt ihr die Geschichte garantiert noch nicht erlebt. Spaß und Action garantiert!
Teilnehmer-Film zum Steinerei-Brickfilmfestival 2017 in Kaiserslautern zum Motto ‚Es war einmal …‘. Gewinner des Publikumspreises, 2. Preis der Jury und 3. Preis der Brickfilmer. Ein wirklich überwältigender Erfolg …
Kommentar des Regisseurs
Zur Story: Das Thema zur Steinerei 2017 in Kaiserlautern stand relativ früh fest und lautete ‚Es war einmal …‘. Gerade weil man dabei sofort an Märchen denkt, sollte unbedingt eine andere Story erfunden werden. Wie wäre es mit einer Zeitreisegeschichte? Aber dann wurde die Idee ein altes Märchen in die Neuzeit zu verlegen immer weiter verfolgt. Rotkäppchen ist mit dem Handy unterwegs, der Jäger sieht aus wie Rambo und die Oma wohnt im Altenheim.
Das Altenheim sollte einen lustigen Namen erhalten und ursprünglich ‚Zur schattigen Pinie‘ heißen (bekannt aus der Fernsehserie ‚Golden Girls‚), wurde dann aber doch in ‚Altenheim Knusperhäuschen‘ umbenannt, um der Story noch mehr Märchenbezug zu geben.
In meinem Drehbuch hätte Rotkäppchen am Ende dem Rambo einen Kuss gegeben und beide wären im Jeep davongebraust. Der eigentliche Schluss stammt von meinem Arbeitskollegen und Co-Autoren Frank Lauenroth, der die Verwandlung zum Prinzen und des Jeeps ersann.
Als Arbeitstitel wurde zunächst ‚Rotkäppchen Reloaded‘ verwendet. Ich fand den Titel wahnsinnig originell, bis Frank Lauenroth mich darauf aufmerksam machte, dass es bereits ein gleichnamiges Buch gibt (siehe hier).
In der Jurykritik auf der Steinerei erzählte Jurorin Alexandra Dietz, dass sie mehr als 15 Film- und Märchenreferenzen gefunden hat. Ehrlich gesagt habe ich die Anzahl der Zitate nie gezählt. Daher hier mal der Versuch nachträglich alle Zitate aufzuzählen (in der Reihenfolge des Vorkommens):
- Rotkäppchen geht durch den Wald (aus dem Märchen ‚Rotkäppchen‘) – der Märchenerzähler spricht sogar den ersten Satz des Märchens
- Rotkäppchen singt völlig falsch das Kinderlied ‚Hänsel und Gretel‘ (ursprünglich war der Miley-Cyrus-Titel ‚Wreckingball‘ vorgesehen – aus Urheberrechtsgründen wurde aber auf ein märchenhaftes Kinderlied gewechselt)
- Blick auf das Altenheim Knusperhäuschen (erneute Hänsel-und-Gretel-Referenz)
- Schnee aus dem Fenster durch bettenmachende Krankenschwester ‚Schwester Holle‘ (Märchen ‚Frau Holle‘), …
- … die dabei das Kinderlied ‚Scheeflöckchen, Weißröckchen‘ summt
- hinter der Rezeption hängt ein doppeldeutiges Werbeschild ‚Wohnen mit Geschmack – Knusperhäuschen‘ (erneute Referenz auf ‚Hänsel und Gretel‘)
- Rotkäppchen fragt nach ihrer Großmutter ‚Frau Grimm‘ (Referenz zu den Gebrüdern Grimm)
- im Zimmer 206 der Großmutter (auch als ‚Filmdiva‘ tituliert) stehen Oscars als Auszeichnungen und es hängen die Filmplakate von ‚Das verflixte 7. Jahr‚ …
- … und ‚Vom Winde verweht‚ – zwei Filmklassiker, deren Filmplakate ich mit LEGO nachgestellt habe
- der Pfleger bringt das Essen und füllt mit den Worten ‚Tischlein deck dich!‘ auf (aus dem gleichnamigen Grimm-Märchen)
- Doktor Boogyman geht tanzend über den Flur – dabei habe ich mich durch John Travolta im Film ‚Saturday Night Fever‘ inspirieren lassen. Hier werden u.a. die Füße in Großaufnahme gezeigt, während im Hintergrund Disco-Musik zu hören ist (siehe hier). Auch zeigt Doktor Boogyman auf die vorbeikommende Schwester mit Seniorin, ganz so wie John Travolta zu Beginn einer Tanzszene aus genau diesem Film (siehe hier).
- Rotkäppchen kommt über den Flur und summt erneut das Kinderlied ‚Hänsel und Gretel‘
- ein wie Rambo aussehender ‚Jäger‘ fährt mit einem Army-Jeep vor
- der Wolf springt schießend über den Flur in Zeitlupe mit verlangsamten (tieferer) Tonspur (gedacht habe ich an Matrix – bin mir aber gar nicht wirklich sicher, ob es dort eine entsprechende Szene gibt)
- Rambo sagt beim Zielen mittels Spiegel ‚Jippijajey Schweinebacke‘ – der für Bruce Willis typische Ausspruch aus ‚Stirb langsam‘
- der Schuss trifft nach Querschlägern erst sechs Flaschen und dann den Fuß des Wolfes, was Rambo mit den Worten ‚Sieben auf einen Streich!‘ aus dem Märchen ‚Das tapfere Schneiderlein‘ kommentiert
- die Taube am Fenster kommentiert das ebenfalls mit den Worten ‚Rucke die guh, Blut ist im Schuh!‘ aus dem Märchen ‚Aschenputtel‘
- Rotkäppchen hatte sich erfolgreich im Schrank versteckt, um nicht vom Wolf gefressen zu werden – ähnlich wie das siebte Geißlein im Märchen ‚Der Wolf und die sieben Geißlein‘
- der erschossene Wolf erwacht als Zombie wieder zum Leben (in Anspielung an ‚The Walking Dead‘) – erst ein Schuss in den Kopf tötet den Zombie-Wolf
- als die Großmutter den leeren Teller sieht sagt sie: ‚Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?‘ (aus dem Märchen Schneewittchen)
- dass Rambo sich nach einem Kuss in einen wunderschönen Prinzen verwandelt ist eine Anspielung auf das Märchen ‚Der Froschkönig‘ (ursprünglich war ein ‚Zimmertornado‘ im Stile von Shrek vorgesehen – siehe hier)
- der Jeep der sich zur Pferdekutsche verwandelt ist in Anlehnung an den Walt Disney Film ‚Cinderella‘, in dem sich ein Kürbis in eine Kutsche verwandelt (siehe hier) – im Originalmärchen ‚Aschenputtel‘ kommt eine Kutsche so gar nicht vor
Setdesign: Die Basisplatten rund um das Altenheim sind nicht original LEGO – aber kompatibel. Sie haben die Maße 56 x 28 und sind in den Farben apple green, brown, beige and dark grey. Wen es interessiert, kann ja mal bei eBay nach dem Suchbegriff „56×28“ in der Kategorie „Spielzeug“ suchen. Die Suche dann auf „europweit“ ausdehnen, damit man in Großbritannien fündig wird. Kompatible Basisplatten haben zumeist den Vorteil, dass sie nahtlos aneinander passen. Bei den original LEGO-Platten ergibt sich immer eine störende Lücke durch die dann der darunterliegende Tisch zu sehen ist.
Als Basis für das Altenheim diente die LEGO-Packung ‚Heartlake Performance School‚, die bei Karstadt im Sonderangebot war. Das Gebäude habe ich etwas verbreitert, erhöht und die Front nach hinten geschlossen. Die mädchenhaften, magenta-farbenen Steine wurden durch tan-farbene ersetzt. So wirkt das Gebäude seriöser.
Den Jeep habe ich unverändert aus der LEGO-Packung ‚Army Men on Patrol‚ genommen. Faulheit siegt – hatte ich es doch noch zusammengebaut herumliegen.
Figuren: Die Idee, dass der Jäger im Märchen wie Rambo aussehen sollte, hatte ich schon recht früh. Ich diskutierte das auf der LEGO-Ausstellung Steinhanse mit einem der Aussteller, nämlich Jan Müller von MÄNNER-SPIELZEUG. Auf seiner Webseite bietet er eigene MOCs zum Kauf an, bei denen es sich um Filmfiguren aus Actionfilmen handelt. Er schickte mir kurz darauf einen Vorschlag einer Rambo-Minifig. Daran angelehnt habe ich meinen Rambo gebaut.
Rotkäppchen als Figur gibt es bereits von LEGO (aus MiniFig-Serie 7 – siehe hier). Es wäre also ein Leichtes, genau diese Figur wiederzuverwenden. Die Kinderbeine wären aber schlecht zum Animieren gewesen. Wie ich von meiner eigenen Tochter weiß (sie hat übrigens Rotkäppchen synchronisiert) sind Mädchen bereits mit 14 Jahren schon ausgewachsen. Da dürfen die LEGO-Beine gerne auf Erwachsenenniveau sein. Sie sollte als Überraschungseffekt nach Abnehmen der Kapuze wie eine bildhübsche junge Frau aussehen. Daher auch kein kindliches Gesicht und die wasserstoffblonden Haare.
Beim Körper des Wolfs ist die Besonderheit, dass er einmal im Schlafanzug agiert (Körper aus MiniFig-Serie 6 – siehe hier) und einmal in einer Zombie-Variante. Während es bei Wolfköpfen seitens LEGO mehrere Varianten gibt, bin ich beim Körper bei eBay fündig geworden. Bei einem Händler in Großbritannien habe ich ein Set mit vermutlich chinesischen LEGO-MiniFig-Imitaten im Zombie-Stil erworben. Daher also der Schlafanzug des Wolf-Zombies.
Bei den Überlegungen zu Rotkäppchen fiel mir auf, dass es sich nebenbei um eine generationsübergreifende Mutter-Tochter Geschichte handelt (Großmutter, Mutter, Tochter). Während die Mutter im Märchen nur als Randfigur vorkommt – darf sie in meinem Brickfilm ihren wahren Charakter zeigen. So lieb, wie es in den Märchen immer zugeht, sind die Menschen in Wirklichkeit nicht immer. Jeder ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Die Mutter versucht die Tochter für ihre Sache zu nutzen, die Tochter macht zwar mit – aber letztlich zu ihrem eigenen Vorteil. Die Großmutter scheint die Verliererin zu sein – aber wer weiß: vielleicht ist die Villa nur eine mit Hypotheken belastete Bruchbude. Warum sollte sie sonst im schicken Altenheim wohnen?
Animation: Gerade in der einführenden Waldszene kommt Rotkäppchen in einer neuen Gangart daher: dem ‚Hopserschritt‘. Dabei habe ich einen flachen 2 x 4er-Stein verwendet, auf dem Rotkäppchen in der Sprungphase steht. Ich habe den Bildausschnitt so gewählt, dass man die Füße nicht sieht. Das war einfacher beim Animieren und war für den Effekt kaum ein Nachteil.
Überhaupt ist es nicht immer notwendig, dass der Zuschauer bei einem springenden Akteur die Person freigestellt schwebend in der Luft sehen muss. Als Rambo nach der Schießerei mit dem Wolf in das Zimmer der Oma läuft, springt er von der am Boden liegenden Tür herunter, wobei Rambos Füße nicht zu sehen sind.
Wenn man mich fragen würde, welche Animation ich besonders gelungen fand, dann würde ich die Szene nennen, in der Rambo die Treppe hochläuft und dann vor allem vor der Zimmertür stehen bleibt. Muss Rambo auf dem Flur nicht eigentlich eine 90 Grad Drehung machen, um vor der Tür zum Stehen zu kommen? Stattdessen läuft er einen eleganten dynamischen Bogen als wenn es keine Noppen gäbe.
Viel komplizierter als gedacht war letztlich die ‚Tanzszene‘ von Doktor Boogyman. Mehrfach bin ich selbst zur Musik im Zimmer auf und ab gegangen, um mir die passenden Bewegungsabläufe zur Musik zu verinnerlichen. Dann merkte ich erst, wie spärlich die Bewegungen und Schritte einer tanzenden Person, die sich zum Takt einer Musik bewegt, eigentlich sind. Doktor Boogyman ist nun mal ein cooler Tänzer und kein Hektiker. Herausgekommen ist am Ende eine Animation mit nur 6 Bildern pro Sekunde. Ich habe die Tanzszenen aber mehrfach animiert, da es mir einfach nicht gelingen wollte die Bewegungen synchron zur Musik zu bekommen. Ich war nahe der Verzweiflung, bis mir dann ‚Tanzarithmetik‘ half: Jeder einzelne Tanzschritt besteht aus zwölf Einzelbildern, die dann zwei Sekunden füllen. Doktor Boogyman macht daher 30 Tanzschritte pro Minute. Passend dazu wäre eine Musikgeschwindigkeit mit einem Vielfachen von 30 bpm – wie z.B. 120 bpm (beats per minute). Tatsächlich ist die Musik aber ein Tick langsamer, nämlich 116 bpm. Um die Bewegung zur Musik zu synchronisieren hätte ich also die Musikgeschwindigkeit erhöhen müssen (uncool) oder die Bewegung noch weiter verlangsamen. Ich habe daher nachträglich in der Schnittsoftware die Geschwindigkeit der Tanzsequenzen um den Faktor 0,97 verlangsamt (116/120 = 0,9666…). Und siehe da: es passt! Dass sich die Kamera während der Tanzschritte noch in Laufrichtung mitbewegt ist dann fast schon eine Nebensächlichkeit, die aber ebenfalls zur Komplexität beitrug.
Musik: Das Flötenlied zu Beginn und am Ende des Films stammt von freesound.org. Das Discolied, zu dem Doktor Boogyman tanzt habe ich mal wieder mit Garage Band auf meinem iPhone erstellt. Das gesamte Musikstück kan man hier auf Soundcloud hören – verwendet wurden letztlich nur 17 Sekunden daraus.